TANTE ERNA AUS DER POHLSTRASSE (3)


Tante Erna aus der Pohlstraße (3) 

Pomaden-Theo

Eines schönen Tages bekam Tante Erna neue Nachbarn. Es waren Flüchtlinge aus Westpreußen. Nach ihrer Vertreibung aus Deutsch Krone wohnten sie für kurze Zeit zunächst im Lager Barth-Stein, und hatten nun eine Wohnung in der Pohlstraße zugewiesen bekommen. Es war die Familie Knopfe.  

Mir fiel bereits am ersten Tag deren forscher Sohn Theo seines selbstverliebten Gebarens wegen auf. Sein Gang und sein Verhalten waren nicht wie bei jedem anderen jungen Mann, nein, er stolzierte wie ein Gendarm aus Kaisers Zeiten an den eng stehenden niedrigen Häuschen entlang, ganz so als sei er die Obrigkeit höchstpersönlich. Auch ließ er keine Gelegenheit aus, sich an seiner pomadisierten Schönheit zu berauschen. In der Drogerie Schurich in der Langen Straße kaufte er sich immer diese Tuben mit Pomade der Marke Glätt und schmierte sich von dem Zeugs reichlich ins Haar. Der Volksmund ist mit Spitznamen ja bekanntlich fix bei der Hand, und so hieß er bald nur noch Pomaden-Theo.

Stolz marschierte er an den kleinen Häuschen entlang. Die Fenster waren meistens blitzeblank geputzt, Ehrensache aller Hausfrauen, sodass sich darin das Spiegelbild bestens beobachten ließ. Das tat Pomaden-Theo auch ausgiebig. Er linste nicht nur verstohlen auf die Fensterscheiben, nein, er blieb manchmal davor stehen und drehte sich mal mal zur linken und mal zur rechten Seite um sich nur keine Einzelheit seiner imposanten Erscheinung entgehen zu lassen. Er war ja groß, schlank und trotzdem von kräftig wirkender Statur. Das Schauspiel mit dem amüsanten Gehabe bot er aber nur für eine kurze Zeit, dann war er plötzlich verschwunden.  

An einem sonnigen Wochenende war es, ich konnte das sehr gut beobachten, stelzte an Tante Ernas beinahe ebenerdigem mit Spion ausgestattetem Stubenfenster, ein junger Soldat in khakifarbener Uniform vorbei, und verschwand im Hause gegenüber. Dabei vergaß er nicht, sich in den blanken Fensterscheiben zu mustern. Ein Getuschel setzte in den Häuschen sofort ein.  

„Hast du den gesehen, Erna, diesen Soldaten? War das nicht der schöne Theo, der Sohn dieses vornehmen Herrn von gegenüber?“
Doch, genau der war das. Da war sich nicht nur Tante Erna ganz sicher. Auch die anderen holden Nachbarinnen hatten ihren umschwärmten Theo trotz seiner neuartigen Uniform, sofort erkannt. Er trug jetzt die Uniform der erst vor wenigen Jahren ins Leben gerufenen Kasernierten Volkspolizei, kurz KVP genannt. Und die Rangabzeichen eines Offizier-Schülers trug er auch schon.  

Nach dem unverhofften Auftauchen in der schmalen Gasse mit den niedrigen Häuschen sah man Pomaden-Theor im Städtchen dann aber endgültig nie wieder. Zum großen Leidwesen der Mädels, die an jenem Abend hoffnungsvoll aber vergebens das Tanz-Cafe Darß in der Langen Straße umlagerten.
Im Frisörladen in der Dammstraße/Ecke Pohlstraße warteten mehrere Männer, dass Meister Bladt „der Nächste bitte“ sagte. Sie wollten sich einen neuen Haarschnitt „Fasson“ oder „Halblang“ verpassen oder sich die Bartstoppeln abkratzen lassen. Dabei war für sie auch der junge Soldat aus der Pohlstraße ein Gesprächsthema. Leise unterhielten sie sich in empörtem Tonfall darüber, dass der vornehme Herr Knopfe es zuließe, dass sein Sohn so kurz nach dem verlorenen Krieg schon wieder eine Uniform angezogen hatte. Hinter der vorgehaltenen Hand und mit verstohlenen Blicken auf mich, fiel mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme das Wort Russenknecht. Da bekam ich aber einen mächtigen Schreck, wusste ich doch, so klein ich noch war, dass Russenknecht ein ganz, ganz schlimmes Wort war. Von da an wollte ich dem forschen Theo doch lieber aus dem Wege gehen. Aber der wurde im Städtchen ja ohnehin nicht mehr gesichtet.

 

  Rüdiger Pfäffle