HERINGSKRÜGER

Die Fischmatsch Hafenstraße 10 - Hafenstraße 715b

Die Barther sagen zur ehemaligen Fischkonservenfabrik seit jeher Matsch oder Fischmatsch. Dabei war das Hauptgebäude am Hafenplatz doch so ein wunderschöner Bau. Das schlossartige Gebäude am Osthafen ließ sich der aufstrebende Unternehmer Friedrich Wilhelm Krüger Anfang der 1890er Jahre als Wohnhaus errichten. Es wurde auch „das Schloss am Meer“ genannt. Da passte der Name Matsch überhaupt nicht dazu.

Doch Matscherei oder Matsch ist ganz einfach die Bezeichnung für einen Vorgang bzw. eine Tätigkeit beim Bearbeiten und Verarbeiten von Fischen. Man darf das nicht verwechseln mit einer gelegentlich gehandhabten Praxis in der Herstellung von Pressfisch, der unter Umständen als Fischfilet serviert werden könnte. Da werden Fischreste vom Filetieren in Tanks gesammelt und kommen in einen Separator. Der löst die Gräten vom Fleisch, auch die Köpfe bleiben übrig. Was der Separator danach ausspuckt, ist auch eine Art Fischmatsch. Allerdings ist dieses Zeugs kaum jemandem zuzumuten, selbst wenn es gesundheitlich unbedenklich sein sollte. Das kann man essen, ohne dass man daran stirbt, manchen mag es bei der Vorstellung würgen. Ist aber alles nur halb so schlimm. Es gibt entsprechende Kochrezepte, wie Fischmatsch kultiviert auf den Teller gebracht werden kann. Fischmatsch ist nicht nur in Barth ein bekanntes Wort, in ganz Norddeutschland kennt man es. Es ist zu lesen dass das, was einst als kreative Resteverwertung für Seemänner erfunden wurde, heute als regionale Spezialitäten gehandelt wird. In Schleswig-Holstein zum Beispiel kann in Restaurants „Lecker Fischmatsch mit dicker Rübe“ auf der Speisekarte stehen. Das ist aber nicht unbedingt der gleiche Fischmatsch, wie der eben von dem Separator geschilderte.

Der Begriff Fischmatsch ist an der Küste etwas ganz Normales, der in Barth auf die Krügersche Fischkonservenfabrik übertragen wurde. Begonnen hatte Krügers Geschäftstätigkeit zunächst in der Dammstraße. Er war Schlächter bzw. Fleischer. Daneben befasste er sich bereits seit den 1860er Jahren, wie etliche andere in der Stadt auch, mit der Matscherei. So nannte man das Einlegen der Heringe. Wilhelm Bülow widmet in seiner „Chronik der Stadt Barth“ von 1922 Krügers Werdegang eine ausführliche Beschreibung. Nachdem Krüger erkannte, dass er mit der Matscherei wirtschaftlich erfolgreich sein konnte, stieg er vollends auf die Verarbeitung des Herings um. Dazu verlegte er sein Geschäft zunächst in die Lange Straße Nr. 9 (seit 1910 ist das die Hausnummer 5), das er 1904 oder 1905 an Walter Siemens verkaufte. Siemens betrieb hier eine Drogerie die unter dem Namen „Germania-Drogerie“ viele Jahrzehnte überstand.

Krüger ließ Anfang der 1890 Jahre am Osthafen eine Fischkonservenfabrik errichten, die 1895 ihren Betrieb aufnahm. Gleichzeitig entstand auch sein neues Wohnhaus, direkt an die Fabrikanlagen anstoßend gebaut. Heringskrüger lautete die Telegrammadresse für die „Herings-Conserven-Fabrik & Export-Geschäft“ in „Barth a/d Ostsee“. Ansonsten legte Friedrich Wilhelm Krüger, nunmehr Fabrik-Besitzer großen Wert auf seinen Titel „Lieferant der Kaiserl. Deutschen Marine“.

Im aufwändig gestalteten Briefkopf der Geschäftspost ist die Fischkonservenfabrik des F. W. Krüger abgebildet. Und ganz besonders fällt dabei sein imposantes Wohnhaus ins Auge. Das zweigeschossige Gebäude hatte an der Vorderfront zum Hafenplatz hin ohne die beiden Ecktürme eine Breite von ca. zweiundzwanzig Metern. Die beiden Ecktürme einbezogen betrug das Maß fünfundzwanzig Meter. Die Seitenlinie betrug ca. zwölf bzw. vierzehn Meter.

Eine von Anfang 1895 stammende „Zeichnung zum Neubau eines Wohngebäudes für den Hoflieferant Herrn F. W. Krüger, Hier“ erlaubt uns einen Blick hinter die Fassade. Im Erdgeschoss führte vom Hauseingang ein 2.60 Meter breiter Flur durchgehend bis an die hintere Wand. Von hier gelangte man über eine Wendeltreppe in das Obergeschoss.

Im Erdgeschoss lagen links vom Flur ein großes Büro, eine Wohnstube sowie eine Schlafstube. Rechts des Flures gab es drei Wohnstuben, eine Schlafstube, eine Küche sowie eine Speisekammer.

Im Obergeschoss gab es fünf Wohnstuben, zwei Schlafstuben, zwei Küchen und zwei Speisekammern. Die Aufteilung und Anordnung der Räume lassen den Schluss zu, dass es im Untergeschoss eine Wohnung, und im Obergeschoss zwei Wohnungen gab.

Über bauliche Aktivitäten der folgenden Jahre in der Konservenfabrik sind einige Unterlagen krüger2berliefert. 1911 ließ Krüger an der Seite zur Hafenstraße einen Lagerschuppen anbauen. Dabei hielt er sich offenbar nicht an Bauvorschriften. In diesem Falle ging es konkret um die Außenwand des Lagerschuppens. Die baupolizeilichen Vorschriften versuchte der Bauherr aus irgendwelchen Gründen zu umgehen. Sein Versuch, von diesen Bestimmungen befreit zu werden, hatte keinen Erfolg, Krüger unternahm also einen weiteren Anlauf die Ämter umzustimmen. Das trug ihm vonseiten der Kreisverwaltung in Franzburg einen amtlichen Widerspruch ein, der gleichzeitig mit Beauflagungen verbunden war. Dagegen legte Krüger wiederum Einspruch ein und erneuerte sein Gesuch.

Jetzt übermittelte der Kreis Franzburg dem Bauherrn folgenden Beschluss: „Das erneute Gesuch dass Fischkonservenfabrikanten F.W. Krüger zu Barth, davon Abstand zu nehmen, dass die an der Hafenstraße zu Barth gelegene Außenwand des von ihm auf seinem Grundstück Hafenstraße 10 erbauten Lagerschuppen massiv aufgeführt wird, wird abgelehnt, weil nach § 32 Ziffer 1der Baupolizeiordnung in allen Gebäuden die nach der Straße liegenden Wände in massivem Mauerwerk aufzuführen sich. Die von dieser Vorschrift zulässigen Abweichungen kommen vorliegend nicht in Betracht, weil der Schuppen am Hafen, und somit nicht in der Vorstadt liegt und weiterhin der Schuppen nicht als ein ganz freistehendes und landhausartiges Gebäude angesehen werden kann – vergl. §32 Ziffer 1 Abs. 4.

Franzburg, den 27. Juni 1911“

Doch Krüger war nicht gewillt, klein beizugeben. Das führte dazu, dass die Stadtverwaltung zur Möglichkeit von Zwangsmaßnahmen griff, um Recht und Gesetz durchzusetzen. Dagegen legte Krüger bei der Franzburger Kreisverwaltung Widerspruch ein. Denn er hegte Zweifel daran, ob die Stadtverwaltung überhaupt berechtigt sei, Zwangsmaßnahmen zu verhängen.

Danach verstrichen viele Monate bevor die Kreisverwaltung hierauf reagierte. Im Mai 1912 erreichte den Bauherrn dann die Antwort „an den Fabrikanten Herrn F. W. Krüger zu Barth. Ihre Beschwerde von 22. d. Mts. Gegen die Verfügung des Magistrats zu Barth vom 13. d. Mts. wegen Androhung von Zwangsmitteln behufs Ausführung einer baupolizeilichen Anordnung weise ich hiermit als unbegründet zurück.

Der Kreisausschuß hat Ihnen durch Bescheid vom 15. März 1911 unter der Bedingung nachträglich Dispens erteilt, dass Sie an der Hafenstraße belegenen Außenwand des Lagerschuppens in massivem Mauerwerk aufgeführt würde.

Auf Ihr Gesuch vom 4. Mai 1911, in welchem Sie baten, der Kreisausschuß möge von der obigen Bedingung Abstand, ist ,nachdem nochmals Ermittlungen in dieser Angelegenheit angestellt waren, durch Beschluß vom 27. Juli 1911 unter Angabe der Gründe abgelehnt worden.

Da Sie nun die bereits im Juli 1911 geforderte Bedingung nicht zur Ausführung gebracht haben, ist der Magistrat in Barth berechtigt, diese Ausführung durch Androhung von Zwangsmitteln zu erzwingen. v. Stumpfeld“.

Wie die Angelegenheit letztlich ausging ist leider nicht überliefert.

Den Hof zwischen dem Wohnhaus und den Fabrikbauten ließ Krüger 1917 vom Bauunternehmen Max Teetz überdachen. Die planerischen Unterlagen dazu wurden den Behörden Anfang Dezember 1916 zugestellt. Diese Überdachung sollte sich im Zusammenhang mit einem weiteren Bauvorhaben noch auszahlen. Denn fünfzehn Jahre später wandte sich Krüger an die Baupolizei mit der Bitte, ihm den Bau von zwölf Fischbassins auf seinem Grundstück zu genehmigen. Das klingt ganz danach, als sollten bei der Konservenfabrik Lebendfische gehältert werden, was aber eher unwahrscheinlich sein dürfte. Es handelte sich letztlich um eine Fabrik, in welcher Heringe verarbeitet wurden, die auf keinen Fall als lebende Ware angeliefert werden konnten. Die Bassins dienten wohl dazu, die täglich per Eisenbahn angelieferten Heringe auf dem Fabrikhof in ordentlichen Behältnissen zwischenzulagern. Denn, wie weiter unten zu lesen sein wird, erhielt die Fabrik täglich mehrere Waggons mit Heringen und den Zutaten für die Konservenherstellung.

Dem Bau für die Errichtung der Bassins wurde im September des Jahres 1931 seitens der Baupolizei zugestimmt. Die Überdachung des Hofes, die fünfzehn Jahre zuvor gemacht wurde, krüger3dürfte bei der Baugenehmigung von Vorteil gewesen sein, auch wenn das nicht zwingend gefordert wurde. Besonders hingewiesen wurde dabei auf die Vorschrift der Bauordnung, dass die Fundamente der Fischbehälter bis auf tragfähigen Baugrund hindurchzuführen seien, und das Dach musste feuersicher eingedeckt sein.

Eine weitere Forderung an den Bauherrn war, dieser habe dafür Sorge zu tragen, dass für die Beamten bei ihren Kontrollen alle Teile des Gebäudes und die zu besichtigenden Anlagen sicher zugänglich sind. Auch sei der Bauschein nebst den dazugehörigen Bauvorlagen für die Baupolizeibeamten stets zur Einsicht auf der Baustelle bereit zu halten.

Wurden die stählernen Spundwände beim Bollwerk des Osthafens Anno 1931 gerammt? Jedenfalls lässt eine Eingabe seitens der Firma Krüger solches vermuten. Krüger wandte sich im Oktober jenes Jahres an den Barther Magistrat und monierte: „Ich erhalte auf dem Anschlussgleis täglich Waggonzufuhren und habe zeitweise 5 bis 7 beladene Waggons vor der Fabrik stehen. Beim Ausladen dieser Waggons bin ich stark behindert dadurch, daß direkt gegenüber meines Fabriktores vor dem Eisenbahngeleise etwa 10 m lange eiserne Schwellen liegen, die zum Hafenbau verwandt worden sind und seither noch nicht weggeräumt wurden.

Ich bitte hierdurch ergebenst um Beseitigung dieser störenden langen Schwellen, da ich meine Wagen nicht ordnungsgemäß ausladen kann. Diese Schwellen liegen außerdem mitten auf der Fahrstraße und behindern stark einen geregelten Ladeverkehr nach meiner Seite.

Da mir durch das Umstellen der Waggons und durch den vermehrten Arbeitslohn durch diese Schwellen auf die Dauer zu große Unkosten entstehen, darf ich wohl höflichst bitten, daß in den nächsten Tagen diese Schwellen einen anderen Platz bekommen.“

Das Stadtbauamt hatte ein Einsehen und gab der Firma F. W. Krüger schon eine Woche darauf zur Kenntnis „Auf Ihr Schreiben vom .2.d.Mts. erwidern wir ergebenst, daß inzwischen durch unser Stadtbauamt veranlasst worden ist, die eisernen Spundpfähle zu beseitigen und die Fahrstraße entsprechend Ihrem Antrage freizumachen.“

Bei den von Krüger als Schwellen bezeichneten Baureste handelte sich also um Spundpfähle, die zum Rammen der Bollwerksbefestigung verwendet wurden.

In der der einstigen „Herings-Conserven-Fabrik & Export-Geschäft“ in „Barth a/d Ostsee“ (ab 1956 ein VEB) wurde nach dem Verkauf bis 1993 gearbeitet. Dann verfielen die Gebäude die 1999 durch einen ein Brand vollends zerstör wurden. Der Abriss erfolgte im Jahr 2006.

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Anfangs der 60er Jahre pilgerten viele Mitarbeiter der Bootswerft täglich zum Mittagessen hierher in den VEB Fischverarbeitung Barth. Die Werft hatte keine eigene Küche, einen geeigneten Raum auch nicht, um sich das Essen in Thermokübeln anliefern zu lassen. Doch es gab eine Anordnung, dass Werktätige täglich mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen seien. Man nannte diese betriebliche Sozialpolitik im offiziellen Sprachgebrauch Arbeiterversorgung. Wobei dieser Begriff ja nicht korrekt ist, denn nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Angestellten und leitenden Mitarbeiter waren in die Versorgung mit einbezogen. Das System der Arbeiterversorgung.war bereits zur Zeit vor der Gründung der DDR, also in der sowjetischen Besatzungszone, eingeführt worden. Grundlage dafür bildete der Befehl Nummer 234 der Sowjetischen Militäradministration vom 9. Oktober 1947.
Nach der Mahlzeit in der Matsch-Kantine pilgerten die Werftler wieder zur Werft und an ihre Arbeit zurück.
Ein Zeitzeuge meint im Rückblick auf jene Jahre.

Das war doch keine richtige Mittagspause, wenn wir während dieser Zeit jeden Tag hin- und wieder zurücklaufen mussten. Es nahmen nach und nach auch immer weniger Kollegen den Weg in Kauf und hockten lieber auf der Werkbank und mampften ihre Stullen. Um den Küchenfrauen in der Matsch aber Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie bemühten sich Tag für Tag um eine akzeptable Essenversorgung. Das halbe belegte Brötchen kostete zwischen 20 und 30 Pfennigen, die Tasse Bohnenkaffee 50 Pfennige. Mittags gab es meistens zwar nur einfache Wahlessen, aber krüger4die kosteten in der Regel auch nur bis zu 90 Pfennige pro Portion, den Rest zahlte der Betrieb. Einen Nachschlag gab es sogar kostenlos.“

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Apropos Matscherei, da erinnere ich mich an Mieke. Wer ist Mieke? Ihr voller Name soll hier aber nicht genannt werden. Sie war eine der vielen Heimatvertriebenen jener Zeit, hatte drei Kinder, der Mann ist im Krieg gefallen. Sie wohnte nach 1946 in Barth-Stein und fand bei F. W. Krüger in dessen Heringskonserverfabrik als Hilfsarbeiterin eine sehr schlecht bezahlte Beschäftigung. Der Name Mieke ist eine Abwandlung von Marie oder Maria. Aber jeder kannte sie nur als Mieke. Maria kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Die von Gott geliebte", also einen schönen Namen hatte Mieke.

Was hat Mieke hier gemacht in der Matsch? Sie hat die Küt geschaufelt. Küt, das sind die Abfälle, die beim Ausnehmen von Fischen anfallen und sehr rasch einen durchdringenden, penetranten Gestank verströmen. Küt sind die Fischabfälle, die es zu entsorgen sind. Keine angenehme Arbeit für die damit Beschäftigten. Zumal sie in der Barther Matsch unter freiem Himmel in Behältern lagerten, auch im Sommer bei warmem Wetter. Die Küt ist glitschig, sie stinkt zum Himmel und es krabbeln, besonders bei warmem Wetter, Unmengen von Maden darin herum. Das war die Arbeit, die Mieke zu verrichten hatte. Vor dem Gebäude, zur Hafenseite hin, standen große stählerne Bottiche, die durch Mieke per Schaufel mit der Küt befüllt wurden. Auch spezielle Anhänger, die mit Traktoren oder LKW abgeholt wurden, standen dafür bereit. Da diese Fahrzeuge lediglich notdürftig äußerlich gereinigt wurden, benötigt man nicht allzu viel Fantasie, um sich deren Aussehen und deren Geruch vorzustellen. Doch Mieke, angetan mit einer grauen Igelitschürze und mit Kopftuch, hatte, völlig unbeeindruckt von solch misslichen Arbeitsbedingungen immer ein gutmütiges Lächeln im Gesicht, war guter Laune und zeigte sich freundlich zu jedermann.
Küt ist ein Ausdruck, der vermutlich im Schlachtergewerbe und Schlachthaus seinen Ursprung hat. In mancher Stadt findet man entsprechende Straßennamen (in Kiel die Küterstraße, in Rostock den Küterbruch) oder auch Stadttore deren Name auf das Gewerbe der Küter hinweist (Kütertor in Stralsund). Küter, oder auch Kuttler, sind ausgebildete Fleischer (in Süddeutschland Metzger) mit Spezialisierung auf Darm- und Innereienbearbeitung. In Niedersachsen werden die Schlächter, die nur das Vieh anderer Hauswirte schlachten, Küter genannt.
Und dann sind da noch „Sandkasten-Küter“. Das sind die Kinder, die so gerne in in der Modder gatschen, wer kennt das nicht aus der eigenen Kleinkinderzeit? Mutter schimpft dann immer, du sollst nicht so gatschen. Viele sagen aber auch kütern, statt gatschen. Tante Erna sagte in ihrem ostpreußischen Dialekt dazu „Jungelken, tu dir nich so bekleetern“. In diesem speziellen Zusammenhang träfe das zu, was eingangs gesagt wurde, dass die Matscherei nach etwas Unsauberem klingt. Aber, Matschen ist eben nicht gleich Matschen, wie man sieht.

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Ein großer Garten, der sich im östlichen Bereich des Grundstückes der Barther „Herings-Conserven-Fabrik & Export-Geschäft“ befand, war bis mindestens 1909 für jedermann frei zugänglich, einen Zaun gab es bis dahin noch nicht. Doch nun wollte Krüger das Areal einzäunen lassen. Dazu schrieb er im März 1909 an die Direktion der Barther Baupolizei: „Ich beabsichtige, demnächst die ganze Nord- und teilweise Ostseite meines Gartengrundstücks Hafenstraße 715b mittels Lattenzauns einzufrieden was ich hiermit anmelde und bitte um Genehmigung.“

Das Schreiben an die Baupolizei trägt neben der Unterschrift des Bauherrn F. W. Krüger auch die des „Herrrn Kämmerer Cowalschky“. Um wen handelt es sich bei dem Kämmerer? Mit Vornamen hieß er Friedrich und war in der Stadtverwaltung bis 1914 für vielerlei Angelegenheiten zuständig. Er war Städtischer Deputierter und Vorsitzender für Weide, Brücken, Wege, Feldwesen, Forstwesen, Promenaden, Hafen und Bollwerk, Waisenrat und Armenpflege. Auch in der Einkommens-Voreinschätzungs-Kommission mischte der Kaufmann und Ratsherr Cowalschky mit.

Er wohnte übrigens im Haus der Fischerstraße 409, die heutige Hausnummer 10, dessenEigentümer krügerer war. Von 1920 an ist der Fischer Hans Stuth als Eigentümer nachgewiesen. Außer 5Stuth wohnten hier jetzt zwei weitere Familien, Das Adressbuch 1938 führt für die Fischerstraße 10 neben Stuth nun acht weitere Mieter auf.

Das Gebäude steht auf der Liste der Barther Baudenkmale, bietet an der Vorderfront jedoch einen trostlosen Anblick. Die Gebäude im hinteren Teil des Grundstückes sind ebenfalls in einem bedauernswerten Zustand. Findet sich trotz allem doch ein Investor? Ich habe im vorigen Jahr in einem fotografischen Vergleich mit den benachbarten Häusern, die richtig schmuck aussehen, frotzelnd angemerkt, die Nummer 10 sähe dazwischen aus wie ein fauler Zahn in einem ansonsten tadellos sanierten Gebiss.

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Das Grundstück der Barther Heringskonservenfabrik hatte einen ungleichmäßigen Zuschnitt. Die Maße waren: 27 Meter am westlichen Teil (mit dem Wohngebäude, auch „Schloss“ genannt), 107 Meter an der nördlichen Seite (zum Bollwerk hin), 115 Meter längs der Hafenstraße und 37 Meter auf der Seite gegenüber der Dampfmühle und der Möbelfabrik.

Nachdem 1895 das schöne Wohnhaus fertiggestellt war und die Heringskonservenfabrik die Arbeit aufgenommen hatte, fand eine fortlaufende Erweiterung und Modernisierung der Fabrikanlagen statt. Alle Gebäude waren in massiver Weise errichtet und mit einem Pappdach eingedeckt. Das Wohnhaus jedoch hatte ein Zementdach.

1901 baute die Firma „Gebrüder Wendt“ aus der Hafenstraße 22 bereits im südöstlichen Bereich eine „Acetylengas-Anlage“. 1911 fand die Fabrik durch den Anbau eines Schuppens an der Hafenstraße eine Erweiterung. Dieser Schuppenanbau führte zu länger andauernden Zwistigkeiten des Fabrikanten Krüger mit der Stadtverwaltung, der Baupolizei und auch der Kreisverwaltung in Franzburg. 1916 ist für die Krüger´sche Konservenfabrik ein Jahr reger Bautätigkeit bzw. Planungen. Während der Hof zwischen den beiden Fabrikhallen Nord und Süd bereits überdacht war, bekam nun auch der Hof gleich hinter dem Wohnhaus eine Überdachung. Im gleichen Jahr wurde am südwestlichen Zipfel des Fabrikgrundstückes das Trafo-Haus gebaut. Der Standort des Trafohauses war gegenüber der später abgebrannten, aber wieder aufgebauten Norddeutschen Möbelfabrik an der Straßenecke Hafenstraße und des heutigen Platz der Freiheit. Planungen für ein neues Kesselhaus erfolgten ebenfalls im Jahr 1916. Ausführendes Unternehmen war bei all den Maßnahmen jeweils die Firma Max Teetz. Teetz hatte 1911 das Baugeschäft und Dampfsägewerk der Gebrüder Wendt übernommen.

Einen Bauantrag mitsamt den Zeichnungen zum Bau von 12 Fischbassins reichte Krüger im September 1931 ein, der auch umgehend befürwortet wurde. Im baupolizeilichen Abnahmeprotokoll, datiert vom 4. Dezember, wird dem Bauherrn abschließend bescheinigt, dass Mängel in der Bauausführung nicht festgestellt worden seien.

Dass die von 1916 stammenden Pläne zum Bau des Fabrikgebäudes und des Kesselhauses umgesetzt wurden, steht außer Zweifel, doch ob dies noch im beabsichtigten Zeitraum erfolgte, ist fraglich. Denn Deutschland befand sich ja schließlich im dritten Kriegsjahr.

Der Bauplan vom 28. Februar 1895

weist folgende Raumaufteilung aus:

Vorderfront: 22.20/ ohne Ecktürme, 25.00 m mit Ecktürmen

Seitenmaße: 12.34 ohne Ecktürme, 13.54 m mit Ecktürmen

Erdgeschoss

Vom Eingang durchgehender Flur (2,60 m breit) bis zur ins Obergeschoss führenden Treppe an der hinteren Hauswand.

Linke Flurseite Büroraum (einschließlich Eckturm) ca. 5,80x5,50, 1 Wohnstube, 1 Schlafstube.

Rechte Seite 1 Wohnstube, 1 Speisekammer, 1 Küche, 1 Wohnstube, 1 Schlafstube, erreichbar durch eine Türe von der Wohnstube aus.

Obergeschoss

5 Wohnstuben, 2 Schlafstuben, 2 Küchen, 2 Speisekammern







Rüdiger Pfäffle