MIT SIGURLINA AUF DER INSEL OIE

Angelfreund Jan Hollerbusch fragte eines Tages, was mich danals, Ende der 1950er Jahre, so häufig zur Insel Barther Oie im Bodden führte. Von meiner Begeisterung für dieses kleine Eiland hatte ich ihm nämlich einmal Andeutungen gemacht. Jetzt fragte er also, ohne besonderen Anlass, nach dem Warum.


August 1958



August 1958



"Na ja," meinte ich, "damit verbinden sich für mich so manche Erinnerungen an meine frühe Jugendzeit. Und die Sache mit der Oie war so: Als Lehrling damals hatte ich mir 1958 ein Paddelboot zugelegt. So eins noch richtig aus Holz, wie du es heute gar nicht mehr kriegst. Unten mit blauer Farbe gestrichen, oben das Deck orangefarben, und richtig mit einem Namen dran. Natürlich der meiner Freundin."

"Wer war denn deine Flamme?"

"Ja, ich hatte im 2. Lehrjahr 1959 schon eine richtige Freundin, Sigurlina hieß sie. Sie sah sehr gut sah, hatte eine außerordentlich attraktive Figur. Sie war gerade mit dem Abi durch."

Am Seglersteg beim Westhafen guckten die anderen dann immer ein bisschen neidisch. Da war ich natürlich jedes Mal der King und ganz stolz auf meine schöne Begleiterin. Diese Freundschaft im Sommer 1959 war völlig harmlos! Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass ich diese Erlebnisse mit meiner ersten Freundin bis heute über so viele Jahre nicht vergessen habe. Es ist eine Erinnerung an eine für mich ganz besonders schöne Zeit.
"Ja also, das war dann so, was soll ich sagen? Wir sind etliche Male übern Bodden rüber zur Oie gesegelt. Denn inzwischen hatte ich mir ein Segel zugelegt. Das Paddeln bis zur Oie war eigentlich kein Problem für mich, aber mit Segel wars doch bequemer. Außerdem hatte ich natürlich bemerkt, wie meine Sigi, wie Sigurlina allgemein genannt wurde, immer rüberlinste, wenn eins der größeren Segelboote an uns vorüber fuhr. Ich will nicht sagen, dass ich da eifersüchtig wurde, aber so einen kleinen Stich hat es mir doch jedes Mal versetzt."

Aber nun hatte ich auch ein Segel. Zwar nur ein mickrig kleines, aber als junger Lehrling sah ich das noch nicht so verbiestert eng. Drüben auf der Oie war es richtig romantisch. Ruhe herrschte, keine Menschenseele außer meiner Sigi und mir. Dafür viele Kühe und noch viel mehr Vögel, die hier ihre Nester hatten und mit der Brut beschäftigt waren. Auf der etwa 68 ha kleinen Insel gibt es viele seichte Wasserflächen und ein natürliches Grabensystem, das mit dem Bodden und dem Zingster Strom verbunden ist. Etwa auf der Hälfte der Oie wird die Vegetation durch regelmäßiges Überfluten bestimmt, so dass sich hierdurch Salzweiden bilden können. Ein etwas höher gelegener Moränenkern bildet sozusagen die Inselmitte, der nur gelegentlich von Hochwasser erreicht wird. Dort stand ein verfallenes Gehöft. Die Gräben bzw. Wasserrinnen nennt man Priele.
„Weißt du eigentlich, Jan, dass Kühe äußerst neugierige Geschöpfe sind, wusstest du Stadtmensch das?"

Weiß er natürlch nicht.

"Wenn wir bei der Insel ankamen und an Land gingen, dann trotteten die Kühe immer gleich auf uns zu und versetzten meine Freundin anfangs in Angst. Sie kannte ja den Umgang mit so großen, frei umher laufenden Tieren nicht.

"Das war schon ziemlich beklemmend für Sigi. Aber auch auf mich traf das zu, zumal diese Biester keine Scheu vor uns zeigten und immer näher kamen. Ich geb´s ja zu, Jan, mich überkam doch ein ziemlich mulmiges Gefühl. Für mich war das nun aber eine Gelegenheit, den Helden zu mimen. Ich schnappte mir die beiden Paddel und stürmte nun wild entschlossen auf die Herde los!"

Was mache ich, wenn die Kühe stehen bleiben, oder gar gegen mich Front machen, dachte ich doch recht verunsichert?

"Verunsicherung oder Bange haben, das durfte ich, der Beschützer dieses einzigartigen Mädels natürlich nicht zeigen. Aber die Viecher trampelten sofort davon. Stolz schaute ich zu Sigi hin, bewundernd schaute diese auf ihren heldenhaften Paddelboot-Kapitän zurück."

Mit blanken Augen guckte ich meinem Freund Jan ins Gesicht, so, als habe ich diese Schlacht gerade eben noch einmal siegreich bestanden.
„Die Kühe blieben zwar gleich wieder stehen, drehten sich zu uns um, doch nun wusste ich, dass sie mehr Schiss vor mir hatten als ich vor ihnen. Von nun an konnten wir, Sigi und ich, unbesorgt an Land gehen und über das kleine Eiland ströpern und es erkunden."

Unendlich viele Vogelnester gab es im kurzgehaltenen Gras auf dem Boden der Insel. Die Kühe machten stets einen Bogen drum herum. Eine interessante Beobachtung! So viele unterschiedliche Vogelarten, so viele Gelege und dann die vielen kleinen jungen Vogelküken.

"Das habe ich danach so nie wieder erleben dürfen."
Auf der Oie stand damals ein verlassenes Bauerngehöft, dem Verfall preisgegeben. Die eine Hälfte waren Stallungen sowie Räume für Futter und Gerätschaften, in der anderen Hälfte befand sich eine Wohnung. Da das Gebäude schon recht lange unbewohnt war und die Fenster alle offenstanden, nisteten in der Wohnung jede Menge Schwalben. Das Haus hatte zwischen den Wohnräumen und der Stallung eine Durchfahrt, wohl um einen Pferdewagen dort abzustellen. Diese Durchfahrt hatte jemand, vermutlich einer jener Vogelschützer, an den Wänden mit Bildern, Gemälde möchte ich nicht dazu sagen, farbig verschönert. Das Gebäude ist nicht mehr vorhanden. Es wurde durch ein neues Haus in annähernd gleicher Größe ersetzt und wird während der Saison von der Vogelschutzwarte Hiddensee genutzt. Da die Oie recht klein ist, habe ich in späteren Jahren bei Boddenfahrten festgestellt, dass die beiden Bäume am Haus bis heute noch dort stehen.

Die Barther Oie ist auch heute ein Vogelschutzgebiet, niemand durfte sich hier in dieser einmaligen Umgebung ansiedeln. Doch Kühe sind noch auf der Insel, halten für die Vögel das Gras kurz und verhindern eine Versteppung dieser Landschaft. Ich hatte 1958 mit einer Plaste-Kamera "Pouva Start" ein paar Fotos gemacht. Zwei davon, allerdings von der Qualität her kaum vorzeigbar, habe ich noch gefunden und konnte sie Jan zeigen.
Das ist die Geschichte von meiner 59er Sommerfreundschaft mit Sigurlina und meinem Faible für die Oie. Jan Hollerbusch war mäßig zufrieden. Er wollte wissen, wo Sigurline nun abgeblieben ist. Mit der Sommerfreundschaft war es zwar vorbei, doch nach mehr als sechzig Jahren gab es ein unverhofftes Wiedersehen. 
Und dann gab es im Dezember des Jahres 2022 noch eine richtige Überraschung. Nachdem ich bei Facebook zwei Fotos mit dem Gebäude auf der Insel von 1958 und eines von 2019 gezeigt hatte, meldete sich eine Dame mit einer interessanten Erinnerung, die Oie und jenes Bauerngehöft betreffend.

Demnach war ihre inzwischen leider schon verstorbene Mutter etwa 1944 auf der damals noch bewohnten Insel. Im Alter von zehn Jahre hat die Mutter dort auf dem Bauernhof, den meine Fotos von 1958 zeigt, im Bauernhaushalt für Milch, Brot und Butter gearbeitet. Sie benötigte aufgrund ihrer angegriffenen Gesundheit viel Milch. Es war ja die Zeit des Zweiten Weltkrieges im Endstadium. Zur Arbeit, vielmehr zur Hilfe auf dem Hof, holte der Bauer per Boot das Mädchen vom Festland ab und hat es zur Insel gefahren.Wiedesehen, nachzulesen auf meiner Homepage www. fiete-und-jan.de.

 

Rüdiger Pfäffle