DER KAISER HAT ABGEDANKT#

Die Novemberrevolution 1918 in Barth

Die vom ehemaligen Lehrer Werner Daug verfasste Broschüre "Die Novemberrevolution 1918 in Barth" fand ich beim Stöbern auf einem Flohmarkt. Darin behandelt Daug die Ereignisse der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Er geht dabei in einem damals gängigen Parteiverständnis zu Werke. Deshalb fällt es aus heutiger Sicht nicht leicht, seinen dogmatischen Formulierungen Verständnis entgegen zu bringen, der Text mag der heutigen Generation befremdlich erscheinen. Dennoch meine ich, sollte er aus historischer Sicht nicht von vornherein verdammt werden. Man findet im Heft so manchen interessant erscheinenden Abschnitt. Nach dem Sturz der Monarchie übernahmen andere Kräfte das Zepter in Deutschland, und natürlich führte das auch in der kleinen Stadt Barth zu signifikanten Veränderungen. Arbeiter- und Soldatenräte übernahmen vorübergehend die Macht und bestimmten das politische Klima.
Im ersten Kapitel seiner Schrift bemüht Daug sogar die Barther Chronik von 1922, indem er Bülow zitiert: "Einen argen Riß in das gemeinsame Leben der Bürgerschaftverursachte in dieser Zeit die politische Unstimmigkeit. Die große Mehrzahl der Wähler in Barth huldigte fortschrittlichen Anschauungen" (dieses Zitat findet man auf Seite 466). Ob es gerechtfertigt ist, die Vorgänge des Jahres 1884 mit jenen der Novemberrevolution des Jahres 1918 in Verbindung bringen zu wollen, scheint mir gewagt. Denn ob es sich dabei tatsächlich um die "die große Mehrzahl der Wähler" gehandelt hatte? Zwar liest man bei Bülow diesen Satz im Abschnitt für das Jahr 1884, aber Daug hat ihn nur unvollständig wiedergegeben. Der Satz, und der Abschnitt, lauten weiterführend und vollständig: "... und gab demgemäß bei Wahlen ihre Stimme ab. Diesen gegenüber hatte der freie Wahlverein, der hauptsächlich aus den höheren Beamten und oberen Ständen, gestützt auf die ländlichen Besitzer, sich zusammensetzte, den Hauptzweck, für national-liberale Wahlen zu wirken. Zwischen beiden Richtungen kam es in Barth zu scharfen Gegensätzen. Versammlungen wurden gehalten, Flugblätter verbreitet, Vorträge veranstaltet, Angriffe von der einen und der anderen Seite wurden gemacht, und an Erbitterung fehlte es nicht. Doch glücklicherweise übertrug sie sich nicht auf andere Gebiete; das geschäftliche und gesellschaftliche Leben wurden davon nicht berührt."
Der letzte Satz, meine ich, zeigt das Vordergründige der parteipolitisch motivierten Agitation in der Broschüre von Werner Daug. Sie war ja letzlich ein Auftragswerk der Kreisleitung der SED, herausgegeben von der Kreiskommission zur Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, anlässlich des 50. Jahrestages der Novemberrevolution 1918 in Deutschland.
Die Ergebnisse jener Revolution waren für alle Schichten des Volkes gravierend. Der Kaiser, der im Jahre 1903 auf dem Barther Marktplatz auf einen mächtigen Sockel gehievt worden war, musste abdanken, wofür der bislang hier stehende zweiarmige Kandelaber mitsamt seinem Granitsockel weichen musste. Der Kandelaber ist abhanden gekommen, der Sockel mit der Inschrift "Gew. von Wilh. Kobes 1900" befindet sich seitdem in den Planitzer Tannen auf dem Platz des vormaligen "Kurhaus Tannenheim". Kaiser Wilhelms Standbild ist verschwunden, doch in der Goethestraße fand für eine Gedenkstätte ein Teil des Sockels Verwendung.
Der Kaiser hat abgedankt.
              

Auf dem Wahlvorschlag für die Wahl im Jahre 1919 zum Bürgerschaftlichen Kollegium tauchten auch die Namen mehrerer Arbeiter auf. Das gab es zuvor nie. Bis zur Abschaffung der Monarchie galt in Deutschland die Klassengesellschaft. Das fand natürlich auch bei der Zusammensetzung der Bürgerschaftlichen Kollegien seinen Niederschlag. Es wurden für jeweils zehn Jahre die Mitglieder für zwei Bürgerklassen gewählt. In Barth waren dies im Jahr 1914 in der I. Bürgerklasse: Kaufmann Heinrich Fäcks, Paul Müller, Franz Wallis, Kaufmann Julius Bahrüs, Maurermeister Gustav Wiegels, Kaufmann Bernhard Jantzen.
In der II. Bürgerklasse: Goldarbeiter Otto Foth, Schlächteraltermann August Zobel, Schiffbaumeosert Carl Holzerland, Uhrmacher Otto Siebert, Müllermeister Carl Wendt, Glasermeister Gustav Ascher. Vorsitzender: Carl Holzerland, Stellvertreter: Otto Foth, Schriftführer: Heinrich Fäcks.
Wie ersichtlich ist, waren die Sitze im Kollegium stets den Fabrikbesitzern, Kaufleuten, Reedern und anderen bessergestellten Bürgern vorbehalten.
Dass es nun anders gehandhabt wurde, war ein Ergebnis der Novemberrevolution. Neben dem Maurermeister hatte es jetzt auch der einfache Maurer Franz Geberg, der Bote Hermann Peters oder auch ein schlichter Arbeiter wie Karl Groß, Richard Welk, Karl Pommeresche auf die Wahlliste geschafft. Von den sieben Arbeitern, die insgesamt zur Abstimmung standen, erhielten vier einen Sitz im Kollegium. Einer dieser Arbeiter war der bei der Stadt angestellte Arbeiter Karl Groß. Er hatte 13 Kinder und wohnte in der Wiekstraße 10.
1922 bestand das Kollegium aus dem Schulwart Peters (Vorsitzender), Maurermeister Wiegels (stellvertetender Vorsitzender) und dem Lehrer Burckbüchler (Schriftführer), Maurerpolier Behrens, Zimmermann Blaudow, Arbeiter Groß, Schiffbaumeister Holzerland, Zimmermann Horst, Fischer Hübner, Buchbindermeister Jantzen, Mittelschullehrer Jasmund. Justizobersekretär Lehmann, Kaufmann Miedbrodt, Schiffskapitän Moritz, Maurer Oeberg, Arbeiter Pommeresche, Fischer E. Stuht, Kaufmann F. Wallis, Müllermeister C. Wendt, Schlossermeister M. Wendt.
Ob sich der kinderreiche städtische Arbeiter Karl Groß dort wohlfühlte neben Maurermeister Gustav Wiegels, Werftbesitzer Carl Holzerland oder dem Müllermeister Carl Wendt? Wohl eher nicht. Wie er in diesem für ihn ungewohnten Umfeld auftrat, ob er dort politisch aktiv mitwirkte, oder sich von den einflussreichen und redegewandten Bürgerlichen unterbuttern ließ, wissen wir nicht. Aber immerhin war er als Sozialdemokrat drei Jahre lang Mitglied in diesem Gremium.
1918 hatten sich in ganz Deutschland in der Folge der Novemberrevolution zunächst die Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. In Barth hatte ein solcher sein Büro in der Langen Straße 3. Der Barther Arbeiter- und Soldatenrat setzte sich zusammen aus: Georg Westphal, Richard Edel, Ernst Ristow, Robert Jörns, Otto Scharnow, Otto Zander, Otto Grählert, Friedrich Mädrow, Willy Pracht und Heinrich Wiese. Die leitenden Köpfe waren 1918 Willi Pracht aus der Baustraße 36 sowie Richard Edel aus der Badstüberstraße 43.
1920 hatte der inzwischen in Arbeiterrat umbenannte Arbeiter- und Soldatenrat mit neun gewählten Leuten Sitz und Stimme im Rathaus: Ernst Wegner, Carl Lühr,Max Rüger, Max Wegner, Johann Reimer, Carl Burmeister, Franz Lamp, Heinrich Hinz und Carl Witt.Am 24. Februar 1919 stand auf der Tagesordnung einer Wahlversammlung unter anderem das Thema "Das Stadtgut Planitz wird aufgeteilt". Im Detail sollte beschlossen werden:
- Das Stadtgut Planitz soll aufgeteilt werden und vom 1. April 1919 ab in einzelnen Stücken verpachtet werden
- Die Hofstelle mit etwa 200 Morgen Ackerland und etwa 150 Morgen Weide und Wiesen sollen     zusammenhängend verpachtet werden.
- Die im Westen des Lüdershäger Weges gelegene Weide nebst den angrenzenden Ackerstücken in Größe von 350 Morgen soll ungeteilt als Weide oder aber auch in kleinen Parzellen zur Heuwerbung zur Verpachtung gelangen.
- Die niedrig belegenen Ackerstücke nahe dem Walde können als Koppel pachtweise abgegeben werden.
- Die Weide längs der Barthe soll in kleinen Parzellen verpachtet werden.
Ob darüber eine Beratung stattfand, und wenn ja, welche Beschlüsse dazu gefasst wurden, entzieht sich meiner Kenntnis.
Bei der Zusammensetzung des Wahlvorstandes könnte man sich vorstellen, dass es einige Änderungen zu den Forderungen gegebne haben dürfte. Der Wahlvorstand: Die Herren Howitz, Holzerland und Jasmund.
Der Ort Planitz kam 1928 als Restgut zu Barth.

Wahlvorschlag für die Wahlen zum bürgerschaftlichen Kollegium am 24. Februar 1919.
Ewald Heling, Maurer, Franz Geberg, Zimmerer, Richard Welk, Arbeiter
Heinrich Hübner, Fischer. Heinrich Behrens, Maurer, Hermann Peters, Bote, Karl Groß, Arbeiter, Heinrich Rüger, Maurer, Karl Pommeresche, Arbeiter, Karl Bandlow, Zimmerer. Willy Pracht, Schiffsführer, Wilhelm Lehmann, Amtsgerichtssekretär, Karl Holzerland, Rentier, Friedrich Miiedbrodt, Kaufmann, Ernst Stuth, Fischer, Karl Birckbüchler, Lehrer, August Moritz, Kapitän
Wilhelm Jasmund, Realschullehrer, Gustav Wiegels, Maurermeister, Franz Wallis, Kaufmann
Karl Wendt, Landwirt, Friedrich Jantzen. Buchbindermeister sowie Max Wendt, Schlossermeister.

Rüdiger Pfäffle