STRAFLAGER

Aufgrund des Beitrages über Major Dicks, die ich auf seiner Homepage veröffentlicht habe, meldete sich ein ehemaliger Unteroffizier der NVA per Internet-Nachricht bei mir. Seine Bitte war, mit mir in näheren Kontakt zu kommen. Weshalb, das wird im Folgenden dargelegt. Die Nachricht des ehemaligen Unteroffiziers gebe ich mit geringfügigen Änderungen in Stil und Orthografie, wieder. Er schreibt:
„Ich war vom November 1964 bis Nov.1965 Angehöriger des MSR 28, 3. Bataillon.
Von Mai 1965 bis Okt.1965 war ich Gruppenführer im 1. Zug. Im September wurden wir nach Spriehusen zum Ernteeinsatz abkommandiert. Ich hatte die Aufsicht über den Einsatz unserer Kompanie. Offiziere waren nicht vor Ort. Was wir dort vorfanden spottet jeder Beschreibung. Das Getreide war auf den Hocken bereits ausgewachsen, die Frühkartoffeln noch im Boden. Entsprechende Erntetechnik und Fahrer waren nicht vorhanden
Ich hatte mein Quartier nicht in der gemeinsamen Unterkunft bei den Mannschaften, sondern im Schloss beim Parteisekretär. Dort kam es zum Eklat, weil ich vergleichende politische Äußerungen zur Vergangenheit vor 1945 mit den damaligen Zuständen und der gegenwärtigen Situation anstellte. Das wurde natürlich meinen Vorgesetzten und der Staatssicherheit zugetragen. Die Folge war, dass ich in Arrest genommen wurde. Das MfS stellte den ganzen Sachverhalt meiner Äußerungen in komplett verlogener Weise dar. Weitere belastende, aber frei erfundene Verfehlungen wurden mir angehängt.

Bei der Gerichtsverhandlung vor dem Militärgericht in Schwerin bestand für mich keine Möglichkeit, einen Anwalt zu konsultieren. Das Urteil lautete: Neun Monate Gefängnis, ohne Bewährung.

Der Drahtzieher dieser Aktion gegen mich war B. zu dieser Zeit Stabs-Chef des Bataillons.
B. hatte beim Mfs. den Decknamen GME/K "Otto Wilke".
Vom Feldscher, ein Unterleutnant J. bekam B. immer brühwarm erzählt, was im Bataillon so los ist. Viele Soldaten haben durch eine geschickte Befragung durch den Feldscher ahnungslos Äußerungen über Personen getan, die dieser dann an B. weitergab. B. Der hatte somit die perfekteste Quelle.
B. hatte mich dann zum Strafantritt bringen lassen. Meine Abzeichen hat er durch die Stube geworfen. Meine Uniformteile flogen nur so durch die Luft. Ihm stand richtig der Schaum vor dem Maul. Dadurch konnte ich meine Schwarzmunition heimlich einstecken. Der P3-Fahrer hat diese dann an sich genommen.

Mit dem Bataillons-Kommandeur D. hat man den verkehrten geschlachtet. B. und Konsorten sollten nicht enttarnt werden. Ich hatte dann vom Haftarbeitslager aus nach Berlin geschrieben und die Machenschaften in diesem Bataillon geschildert. Ich bekam auch Antwort und wurde aus dem Haftarbeitslager entlassen. Aber auch Major D. wurde aus dem Dienst entlassen.

Nun bin ich mit meiner Rehabilitierung befasst, dafür brauche ich Zeugen. Nur noch D. scheint zu leben. Mögliche Zeugen von der Stasi und auch Zeugen aus Spriehusen sind tot.
Des weiteren schreibe ich an einem Buch, ich will mit dem künstlichen Mythos „Schwarzes Batallion“ aufräumen. Mit diesem Begriff wollten und sind einige die Karriereleiter aufgestiegen.
Sollten Sie Interesse an weiteren Kontakten haben, würde ich Ihnen meine Telefonnummer senden.
Mit freundlichen Grüßen (Name).“

Wir haben uns in der Folge noch zwei Mal am Telefon ausgetauscht. Ich konnte dem Mann bei seiner Suche nach Zeugen leider nicht behilflich sein.

Doch was mich erstaunte, war der Umstand, dass dem Namen „Schwarzes Bataillon“ bereits 1965 eine Art Geheimnis anhing. Der Unteroffizier schrieb ja von einem „Mythos“ im Zusammenhang mit dem Begriff, obwohl der Name erst knapp drei Jahre zuvor entstanden war. Und etwas Geheimnisvolles steckt nun wahrlich nicht dahinter. Wie es Anfang 1962 dazu kam, habe ich im Beitrag „Major Dicks und die Westmusik“ geschildert. Aber das ist ein typisches Beispiel für so genannte Latrinenparolen, die besonders in Kasernen ihre Blüten treiben.

Latrinenparole bei Wikipedia: „Latrinenparolen sind umgangssprachlich abwertend bezeichnete Gerüchte, die zumeist irreführend oder falsch sind und heimlich verbreitet werden. Das Wort stammt aus der Sloldatensprache, da sich in Kasernen oder anderen Unterkünften an der dortigen Sickergrube oder auch Latrine alle Mannschaftsgrade zur gemeinsamen Entleerung trafen und wo auch Informationen ausgetauscht und dann weitergegeben worden sind. Synonyme sind Latrinengerücht oder derber Scheißhausparole.“

Rüdiger Pfäffle