IM NORDMEER UNTERWEGS


Ein guter Fangtag vor Labrador

Vor Grönland, rechts Rüdiger Pfäffle links daneben der Rostocker Gerd Schwertfeger

Rüdiger Pfäffle auf seiner ersten Reise als Hochssefischer. Vor Grönland

Eine Seefahrt ist nicht immer lustig
In den späten Abendstunden des 8. März 1968 kam im Hafen des Rostocker Fischkombinates für das Fang- und Verarbeitungsschiff ROS 306 „F. C. Weiskopf“ das Kommando „Leinen los!“. Die Trossen wurden an Deck gezogen. Die Weiskopf verließ den Hafen und fuhr in Richtung Warnemünde. Das Ziel ihrer Reise waren die Fangplätze vor Labrador und Grönland. Dort sollten die etwa siebzig Frauen und Männer Kabeljau und Rotbarsche fangen, an Bord schlachten, filetieren um sie umgehend in großen Blöcken tiefzufrosten.

Zu den siebzig Fischern an Bord gehörte auch ich. Es war meine allererste richtige Seereise. Bisher schipperte ich mit meinem Paddelboot und später mit dem Segelboot „Pirat“ nur auf dem Barther Boden umher. Doch jetzt sollten es andere, richtig große Gewässer sein. Von der Ostsee in die Nordsee und schließlich in den Atlantik, über den Polarkreis hinaus bis zum Nordmeer. Bei mir handelte es sich also um einen Hochseefischer-Neuling, dem erst noch Seebeine wachsen sollten, wie man so sagt, der unbekannten Abenteuern in einer unbekannten, weiten freien Welt entgegenfieberte.
Und das erste Abenteuer ließ auch nicht lange auf sich warten. Da konnte ich natürlich nicht ahnen, dass es sich dabei um ein recht böses Ereignis handeln würde. Mein 25. Geburtstag, den ich am zweiten Tag meiner ersten Sereise beging, wäre beihnahe auch mein letzter geworden. Eine von Pleiten, Pech und Pannen geprägte Reise stand mir bevor. Bereits auf der Reede vor Warnmemünde stoppte der Kapitän die ROS 306. In der Hauptmaschine gab es mit einem Kolben Probleme, die erst nach vielen Stunden behoben waren. Doch dann konnte es losgehen. So richtig los ging es dann allerdings sehr ungemütlich, als hinter dem Skagerrak die Nordsee erreicht war. Hier wehte kein Wind, auch kein Sturm, sondern ein Orkan wütete, der mehrere Tag heftig über die Nordsee fegte. Seekrank wurde ich bei dem Orkan zwar auch, aber nur ganz leicht, musste nie spucken. Der widerwärtige Orkan blieb uns hartnäckig treu. Vorbei ging es aufgrund des hohen Seeganges nur im Schneckentempo an den Shetlands und den Färöern. Am fünften oder sechsten Tag passierte es dann. Um 16 Uhr hatte ich meinen Dienst im Maschinenraum anzutreten. Genau in dem Augenblick, in dem ich den Maschinenraum betrat, verstummte plötzlich die Hauptmaschine. Was ist los, ging es mir besorgt durch den Kopf. Draußen tobte der Orkan und warf krachend unglaublich hohe Wellenberge gegen das Schiff. Wenn in solch einer Situation die Maschine ausfällt, das Schiff also ohne Antrieb ist, wird es in dieser Hölle zum willenlosen Spielball der tobenden See. Zum Glück erzeugten unabhängig von der jetzt stillstehenden Hauptmaschine mehrere Hilfsdiesel (Jockel genannt) den Bordstrom, so dass das Schiff weiterhin Strom hatte.
Große Aufregung bei den Leuten. Die meisten waren sich der tödlichen Gefahr bewusst, in der sich das Schiff befand und auch dass ihr eigenes Leben an einem seidenen Faden hing.
Im Achterschiff hatte es einen Wassereinbruch gegeben, ausgerechnet in dem Raum, in dem sich der Umformer (Leonardsatz) für die Rudermaschine befand, mit dem das Steuern des Schiffes erst möglich wird. Veranschaulichen ließe sich etwa mit der Pinne und dem Ruderblatt bei einem Segelboot.
Die Weiskopf taumelte jetzt willenlos über haushohe Wellenberge und stürzte wieder in ebenso tiefe Wellentäler hinab.
Im Rudermaschinenraum gab es ein stählernes Speichenrad, etwa zwei Meter im Durchmasser, mit dem im Falle einer Havarie das Hauptruder manuell betätigt werden konnte. Das Dilemma war jedoch, dass dieses Notruder starr mit dem Hauptruderblatt verbunden war und sich demzufolge bei jeder Schiffsbewegung rasend schnell in die jeweilige Richtung drehte. Der Bootsmann hatte hier das Kommando übernommen und steckte immer wieder ein Kantholz in die Speichen, um das Ruder zu blockieren. Die Kanthölzer brachen wie Streichhölzer. Als plötzlich eine Monsterwelle, auch Kaventsmann genannt, das Schiff überrollte, zertrümmerte ein splitterndes Kantholz einen Arm des Bootsmanns.
Der Kaventsmann war derart gewaltig, dass das Schiff 59 Grad krängte, also auf die Seite gelegt wurde. Mehr durften es nicht werden, das Schiff wäre ansonsten gekentert, für die Leute im Schiff hätte es keine Rettung geben können. In den Lasten, so nennt man die verschiedenen Lagerräume, sah es danach entsprechend wüst aus. Alle Dinge hatte es durcheinander gewirbelt. Gläser und Flaschen lagen als Scherben in den Räumen und verstopften die Abflüsse.
Sollte ich diesen Orkan überleben, betrete ich niemals wieder ein Schiff, stand für mich fest!
Es dauerte einige Stunden, bis die Ruderanlage einigermaßen beherrschbar geworden war. Schließlich erreichte uns ein anderer Fischdampfer der Rostocker Flotte und leistete Beistand, indem es uns bis nach Island in den Hafen von Reykjavik begleitete. In Reykjavik wütete kein Orkan, es herrschte schönstes Wetter. Die tödliche Gefahr, in der wir uns noch kurz zuvor befunden hatten, war sofort vergessen. Die Welt sah sofort wieder freundlich aus, das Leben machte wieder Freude!
An Deck hatte der Kaventsmann ganze Arbeit geleistet. Auf Steuerbord war die ganze Reling demoliert, mehrere Rettungsinseln sind durch die Wucht des Wellenschlags aus den Halterungen gerissen und in die Nordsee gespült worden.
Für mehrere Tage musste unser Dampfer ROS 306 „F. C. Weiskopf“ mit Heimathafen Rostock im Hafen von Reykjavik festmachen. Isländische Schlosser beseitigten die Schäden. Der größere Schaden dürfte aber gewesen sein, dass die verloren gegangenen Rettungsinseln erst aus der Heimat eingeflogen werden mussten. Aber für uns DDR ergab sich dadurch die seltene Gelegenheit, sich im westlichen Ausland, dazu auch noch in einem NATO-Staat, umzusehen und einzukaufen. Der Kapitän der „Weiskopf“, Kirschnick hieß er, rief die Leute in der Messe zusammen, um uns nahezulegen, nicht gleich am ersten Landgang das Weite zu suchen. Damit meinte er, wenn sich jemand von der DDR trennen und sich in die Bundesrepublik absetzen wolle, dann doch bitte nicht gleich am ersten Landgang, denn in einem solchen Falle müsse er als Kapitän die Landgänge untersagen. Alle anderen Besatzungsmitglieder würden dadurch mitbestraft. Das wolle er auf gar keinen Fall. Es sind beim Ende der Liegezeit im Reykjaviker Hafen aber alle Frauen und Männer der „Weiskopf“ wieder an Bord gewesen.
Befremdliches gab es auch zu sehen. An dem Portal eines Bürohauses im Hafen prangte ein großes Hakenkreuz. In einem Laden für Geschenkartikel konnte man zum Beispiel Gürtel mit dem Hakenkreuz auf der Schnalle kaufen. Das Hakenkreuz ist auch in anderen Ländern üblich, es hat dort jedoch eine ganz andere Bedeutung als für uns Deutsche.
Jedem von uns hatte man 280 Island-Kronen ausgezahlt. War zwar kein Reichtum, doch so einige Kleinigkeiten konnten davon schon gekauft werden. Mein erster Einkauf führte mich an einen Zeitungskiosk, um Ansichts-Postkarten und Briefmarken zu kaufen. Meine Eltern oder Geschwister haben die bunten Postkarten mit den seltenen Briefmarken aus „Iceland“ aber leider verscherbelt. Westzeitungen waren mir wichtig. Schließlich befand sich der Vietnam-Krieg damals auf seinem Höhepunkt. Schreckliche Bilder musste man sich ansehen, aber auch ungewohnt offen verfasste Textbeiträge zum Kriegsgeschehen las ich dort.
Abschließend noch ein Ereignis während meines Aufenthaltes in Island: Im März 1968 bereitete die DDR eine neue Verfassung vor. Das Volk sollte vom Recht der Mitsprache Gebrauch machen dürfen, indem der Entwurf in den Kollektiven diskutiert wurde. Auf dem Schiff beorderte man die etwa 70 Besatzungsmitglieder in die Messe, der Text wurde vorgelesen, Meinungen dazu waren nicht gefragt und alle durften gemeinschaftlich die Hand heben. Das Abstimmungsergebnis ergab, wie immer in der DDR, 100% Zustimmung!
Trotz dieser Chaosreise bin ich der christlichen Seefahrt noch einge Zeit treu geblieben.
Bei der nächsten Reise lernte ich New Scotland in Kanada kennen.


 




Auf dem Deck an Steuerbord Nach dem Kaventsmann
 

Auf dem Fangplatz
 

Winterwetter
 

Winterwetter
 

Reykjavik


Reykjavik
 

Reykjavik
Rüdiger Pfäffle